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Altersverglühen

  • gabrieleheyne
  • 19. Nov. 2024
  • 2 Min. Lesezeit

Aktualisiert: 27. März


Die Schritte sind beschwerlicher geworden, mit denen die Frau den Parkweg entlang geht. Die Sonne brennt vom Himmel - früher hat sie das geliebt, konnte gar nicht genug bekommen von den Sonnenstrahlen, die ihre Haut bräunten. Jetzt ist ihre alte Haut dünn, faltig und empfindlich geworden gegen die glutvollen Strahlen der Sonne.

Sie lässt sich nieder auf ihrer Lieblingsbank, im Schatten eines Baumes, mit Blick auf den See. Hier kann sie ihren Gedanken und Erinnerungen viel Raum geben, sie sortieren, sie pflegen, sich an ihnen erfreuen, sie aber auch verwerfen, wenn sie unangenehm sind.

Es ist die Bank, auf der sie vor vielen Jahren leidenschaftliche Gedichte geschrieben hat. Nein, nicht auf dem Smartphone, sondern in ihr kleines Buch, das sie immer bei sich hatte. Es waren Gedichte voller Liebe an einen Jungen, den sie heiß verehrte. Ihre Gedichte haben ihn nie erreicht. Es blieb eine heimliche Liebe, die lange glühte.

Es gab noch so manche Schwärmerei in ihrem jungen Leben. Schwärmereien, die vorbeizogen wie Wetterleuchten - faszinierend, kurzweilig, brennend, wärmend, schillernd und funkelnd.

Sie sang Lieder mit glutvollen Texten, die von Hoffnung, Glück, Schmerz und  Liebeskummer erzählten.

Damals, als ihre Schritte noch leicht und locker waren, hat sie am Ufer des Sees getanzt. Die Bewegungen ihres Körpers spiegelten das ganze Feuer ihres jugendlichen Temperamentes wieder. Ihrem Kurt, der viele Jahre an ihrer Seite war, hat sie Liebesbriefe geschrieben. Glutvolle Liebesbriefe waren es, überschwängliche Worte, die ihr aus dem Herzen flossen.

Manchmal blättert sie noch in ihrem kleinen Buch und schmunzelt über die Gedichte. Manche ihrer Schwärmereien sind ihr jetzt eher peinlich. Gerne träumt sie davon, wie sie am See tanzte und bedauert, dass ihr Körper ihr das nicht mehr gestattet.

Wenn sie an die Briefe denkt, die sie ihrem  Kurt geschrieben hatte, dann wird ihr warm ums Herz. Sie hatten ein gutes Leben. Aus dem leidenschaftlichen Feuer der Verliebtheit wurde im Laufe der Jahre eine warme tiefe Liebe, aus den einst glutvollen Worten wurden Worte der Verbundenheit und der Nähe.

Die letzten Strahlen wärmen die Seelen und die Erde. Und während die alte Frau da sitzt im Wechselbad der Gefühle, ihre Erinnerungen vorbeiziehen, verglüht die  Sonne hinter den Bäumen.


ree

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