Der sensible Geldbeutel
- gabrieleheyne
- 19. Mai
- 3 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 22. Mai

Im dunkelblauen Businesskostüm betritt Rita Reich die Bühne und geht mutig zum Rednerpult. Demonstrativ legt sie eine große rote Geldbörse auf das Pult, denn ihr Thema heute ist:
„Die Sensibilität des Geldbeutels.“ Es war nicht einfach, den Chef der Bank zu überzeugen, wie wichtig dieser Aspekt im gesamten Geldverkehr der Bank ist. Rita Reich räuspert sich noch kurz und beginnt dann:
"Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,
sicher haben Sie bisher Ihren Geldbeutel nur als Gebrauchsgegenstand betrachtet. Aber auch ein Geldbeutel hat eine Seele. Er fühlt sich wohl, wenn er mit vielen Scheinen gefüllt ist und nicht nur mit Kreditkarten von überzogenen Konten. Solche Kreditkarten sind eine Last für Ihren Geldbeutel und können zu krankhaften und vorzeitigen Verschleißerscheinungen führen. Wenn Sie sehr aufmerksam und achtsam Ihren Geldbeutel wahrnehmen, sich möglichst in meditativer Stille ihm zuwenden, dann können Sie sein Seufzen hören. Sein ständiges Seufzen kann unangenehm sein und könnte auch Ihre Lebensqualität beeinflussen.
Ist Ihr Geldbeutel hingegen prall mit möglichst großen Scheinen gefüllt, dann meine Herren - hier wende ich mich besonders an Sie - spüren Sie seine weiche Wärme an Ihrem Körper in der Gesäßtasche. Nach langem vertrautem Miteinander ist der Geldbeutel in seiner Zuneigung zu Ihnen in der Lage, sich Ihrer Körperform anzupassen.
Bei den Damen ist es dann eher so, dass die Handtasche an Leichtigkeit gewinnt und sich lässiger über der Schulter trägt, willig sich zu öffnen bei der nächsten Shopping Tour.
Es ist bei einer Geldbörse ähnlich wie bei einem Magen, er knurrt, wenn er leer ist.
Als sehr unangenehm empfindet der Geldbeutel zu viel Kleingeld. Da muss er schwer arbeiten, um es beisammen zu halten und diese Arbeit steht für ihn in keinem günstigen Verhältnis zu dem Wert, den er herumschleppt.
Auch ist es ganz wichtig, meine verehrten Anwesenden, dass Sie das Geld mit Respekt entnehmen oder auch befüllen. Jede dieser Gesten wird vom Geldbeutel sehr sensibel wahrgenommen.
Sind es doch seine inneren Werte, die ihn ausmachen. Die meisten Menschen tragen in der Geldbörse auch noch weitere Kostbarkeiten außer Geld mit sich. Da sind die Fotos der Lieben, wichtige Telefonnummern oder Adressen, Talismane in verschiedensten Ausführungen usw. Freudig klafft der Geldbeutel dann ein wenig auseinander an der Seite und bei genauem Hinsehen kann man sein Grinsen erkennen. Ein Zeichen des zugewandten Verständnisses oder vielleicht auch der Freude über den Inhalt?
Im Übrigen ist Ihr ein Geldbeutel sehr gesellig und liebt die Abwechslung seines Inhalts. Also mag er es am liebsten, wenn das Geld schnell ausgegeben wird und es sich dann in seinen Kammern wieder füllt mit neuen Scheinen, die Neues erzählen.
Mit Sicherheit könnte er so manchen guten Rat geben, wie man Geld schnell loswird, aber auch, wie es hineinkommt. Leider verstehen wir seine Sprache noch nicht wirklich und die Forschung ist hier weiterhin sehr gefordert.
Wer schon einmal seine Geldbörse verloren hat, weiß um die Schmerzen, die dieser Verlust mit sich bringt. Es grenzt an eine Katastrophe. Angefangen vom banalen Geldwert über sämtlichen Karten, die uns mehr oder weniger nützlich begleiten, bis hin zu lebenswichtigen Dokumenten - all das trägt er stets mit großem Verantwortungsbewusstsein.
Deshalb ist es wichtig, ihn liebevoll zu behandeln, seine Oberfläche zu pflegen, ab und an zärtlich zu streicheln und ihm immer wieder klar zu machen, wie sehr Sie ihn schätzen und lieben, so dass er nie auf die Idee kommt, Sie zu verlassen.
Nun, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,
bedanke ich mich für Ihre Aufmerksamkeit. Es würde mich und Ihren Geldbeutel sehr freuen, wenn Sie ein neues Verständnis für ihn gefunden hätten und Sie zukünftig eine glückliche Symbiose miteinander gestalten.“
Rita Reich erhebt den Blick von ihrem Konzept, legt die rote Geldbörse sorgfältig in ihre Handtasche, wartet den Beifall ab und wendet sich zum Gehen.
Da wird sie von einem der Herren in schwarzem Zwirn angesprochen:
„Liebe Frau Reich, als zuständiges Vorstandsmitglied bin ich überwältigt und gerührt über Ihre revolutionäre Betrachtungsweise des Geldbeutels. Es wird gewinnbringende Auswirkungen haben, wenn unsere Bank dem Geldbeutel und seinem Inhalt in Zukunft mit diesen neuen Erkenntnissen begegnet. Ganz besonders die Ausführungen zu den überzogenen Kreditkarten und dem Kleingeld müssen überdacht werden. Ich werde sofort eine Arbeitsgruppe mit diesen Themen einsetzen.
Streben wir doch alle absolute Harmonie sowohl in unserem Geldinstitut als auch bei unseren geschätzten Kunden und ihren Geldbeuteln an.“
Dabei strich er sich wohlwollend lächelnd über seine Gesäßtasche, die durch eine Geldbörse dick ausgebeult war und in kollegialer Beziehung zu seinem Bauch stand, der sich über den Gürtel wölbte.
Rita Reich atmete erleichtert auf – weiterhin bereit, den revolutionären und empathischen Weg in eine Welt voller lächelnder Geldscheine und harmonisch grinsender Geldbeutel zu gehen!


