Die Beerdigung des Großvaters
- gabrieleheyne
- 19. Mai
- 1 Min. Lesezeit

Eine Erinnerung ist Hilde noch ganz besonders präsent.
Im Juni 1955 starb ihr Großvater.
Darüber hat sie sich sehr gefreut. Es fühlte sich an, als ob ihr ganzer Körper sich freut. Nur hat das niemand in der Großfamilie verstanden. Es hatte ihr ja auch niemand zugehört. Was sie sagen wollte, passte nicht in die Vorstellung derer, die sie umgaben. Also wurde sie abgewiesen und der Lüge bezichtigt.
Hilde machte sich chic für die Beerdigung mit einem dunkelblauen Faltenrock und einem ebenso blauen Bleyle-Pullover aus Wolle (es war Juni!), der auf der Haut kratzte, aber mit seinen feinen hellen Streifen sehr schön aussah und - für ihr Empfinden - für den feierlichen Anlass angemessen war. Das war das Schickste, was sie im Kleiderschrank hatte. Sie war voller Erwartung und wollte sehen, wie der Sarg mit dem alten Mann in der Erde verschwand.
Aber in der Familie war man entsetzt über ihre Freude und „zur Strafe“ musste sie zu Hause bleiben. Noch heute sieht sie sich wütend und unverstanden auf ihrem Schmollplatz im großen Treppenhaus auf der oberen Stufe der Treppe sitzen.


