Weihnachten
- gabrieleheyne
- 3. Nov.
- 2 Min. Lesezeit

Hilde stellt den Lichterbogen ins Fenster, staubt die geschnitzten Figuren mit einem Pinsel ab, ersetzt die Glühbirnchen, rückt alles noch ein wenig zurecht, bis der Anblick für sie stimmig ist und freut sich an dem warmen Licht im Raum.
Weihnachten war schön, damals als sie ein kleines Mädchen war. Am schönsten war die große Tanne, die über und über mit verschiedenen bunten Kugeln und ganz viel Lametta geschmückt war.
Das Haus, in dem sie lebte, war ein altes, schönes Haus mit hohen Räumen.
Der Weihnachtbaum reichte bis zur Decke. Er stand im Esszimmer, der guten Stube, die sonst nie bewohnt wurde, nur zu besonderen Gelegenheiten. Viele echte Kerzen flackerten und das Lametta glitzerte im Kerzenlicht. Alle durften den Raum erst betreten, wenn die Glöckchen geläutet hatten. Dann spielte Hildes Mutter auf dem Klavier und alle sangen dazu Weihnachtslieder.
Hilde erinnerte sich, dass der Baum sie so faszinierte, dass sie die Geschenke vergaß.
Zum Essen gab es immer Kartoffelsalat und Rippchen. Rippchen aß sie sehr gerne. Aber die gab es nur zu Weihnachten.
An den Weihnachtstagen wurde auch der große Ofen im Keller angefeuert. Alle Heizkörper im Haus waren warm. Das war sehr schön!
Nur einmal stand das Aquarium von Hilde mit den Goldfischen auf dem Heizkörper. Niemand hatte daran gedacht, es wegzustellen. Die Fische überlebten das warme Wasser nicht.
Ein paar Tage vor Weihnachten verschwand immer Hildes Puppe Inge. Hilde liebte ihre Inge und hatte sie überall dabei.
Es war eine Puppe aus Celluloid mit aufgemalten Haaren. Nach dem Krieg war es etwas Besonderes, so eine Puppe zu haben. Viel später hat eine Tante der Hilde erzählt, dass Hildes Mutter die Einzelteile der Puppe gegen Salat und Blumenkohl eingetauscht hatte, die sie in ihrem Laden verkaufte.
An Weihnachten saß Inge dann stets mit einem neuen Kleid unter dem Weihnachtsbaum.
Nur einmal konnte Hilde ihre Puppe nicht finden. Da saß eine fremde Puppe mit Schlafaugen und echtem Haar. Die war zwar wunderschön, aber eben nicht Inge. Dann sagte man ihr, dass das Inge sei und sie jetzt doch viel schöner sei mit dem neuen Kopf (!), mit den blauen Augen, die zufielen, wenn man die Puppe hinlegt und dem Haar, das man kämmen kann.
Hilde hat in dieser Nacht lange geweint.


