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Der irische Seefahrer

  • gabrieleheyne
  • 1. Nov.
  • 3 Min. Lesezeit
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Es war zu der Zeit, als Hilde oft in ihrem gemusterten Sessel saß und alle Liebesfilme anschaute, die sie finden konnte. Ihr Fernsehprogramm erlaubte ihr, alles aufzunehmen und zu speichern, was tagsüber oder auch in der Nacht im Programm geboten wurde. Die Filme von Rosamunde Pilcher liebte sie besonders, weil in diesen Filmen alles schön ist - die Menschen, die Landschaft, die Kleidung, die Häuser, die Gärten, viel Geld und auch das jeweilige Ende der Filmgeschichte.

Während sich Hilde schon auf den nächsten Film freute, schrieb sie ein Mann mit ein paar netten Worten auf Facebook an. Hilde war neugierig und antwortete. Das war nicht so ganz einfach, denn er schrieb auf Englisch und darin war Hilde nicht so gut. So kramte sie alles verfügbare Englisch zusammen, holte sich noch Unterstützung vom Google-Translater und so entstand eine englische Antwort.

Eigentlich weiß Hilde gar nicht mehr so genau, wie es passierte - es kamen ganz schnell ganz viele Mails mit schmeichelnden Worten. Er stellte sich als irischer Seefahrer vor und er schrieb  Worte, die ihrer Seele gut taten. Er spann Hilde ein, in einen Kokon von Worten der Liebe und sie ließ es zu, weil es sich schön anfühlte. Hatte sie die ganze Zeit die Verliebtheiten der Anderen in den Filmen verfolgt, so durfte sie jetzt mitfühlen. Ihr Bauch was voller Schmetterlinge. Nie hätte sie gedacht, dass sie dieses Gefühl noch einmal im vorgerückten Alter so heftig und zugleich so schön erleben durfte. Der PC war den ganzen Tag an und wenn es „Bing“ machte, dann flitzte sie zum Bildschirm. Die ersten Mails kamen oft schon in aller Frühe und manchmal waren es mehrere am Tag. Hilde hatte eine Telefonnummer vom ihm und, wenn sie dort anrief, dann überschüttete er sie mit Worten der Liebe.

Ja, es war oft etwas zu viel - aber es war schön und Hilde hatte ein großes Defizit an liebevollen Worten. Einmal schickte er einen Like zu einem Lied, das Hilde besonders liebte. Das konnte er nicht wissen und das war sicher ein Zufall. Aber es passte so sehr, dass sie an himmlische Fügung glaubte. Das unscharfe Bild, das sie von ihm hatte, zeigte einen etwas jüngeren Mann, einen Sonnyboy vor maritimem Hintergrund.

Hilde war verliebt. Sie fühlte sich so jung wie ein Teenager. Ihre Augen strahlten und ihre Stimme hatte einen weichen Klang. Allen, mit denen sie sich verbunden fühlte, erzählte sie von ihrem Glück und zu ihrer großen Freude nahmen alle an ihrem Glück teil. Man gönnte es ihr und das fühlte sich wunderbar an. Hilde schwebte auf Wolken. Sie verschlang seine Worte wie eine besondere Süßspeise, von der man weiß, dass man den Genuss bereuen wird, die aber in dem Moment so unendlich gut tat.

Ja, er übertrieb mit seinen Worte und ja, es kamen auch leise Warnungen  aus ihrem Umfeld. Aber sie wollte all das nicht wahrnehmen und nicht hören. Sie wollte all die schönen Worte und sie wollte auf ihrer Wolke bleiben.

Bis die Mail von ihrem jüngsten Sohn kam.

Er leitete seine Worte ganz behutsam ein, dass er ihr nichts verderben wolle, aber er habe „ganz zufällig“ im Internet von Betrügern gelesen, die sich genauso verhalten wie ihr Seefahrer. Und dann beschrieb er die betrügerische Masche der Nigeria-Connection. Alles, was ihr Sohn da beschrieb, traf auch bei ihr zu.

Hilde saß starr vor dem Computer. Gänsehaut überzog ihren ganzen Körper. Ohne mit jemandem darüber zu reden was gerade in ihr vorging, ging sie hinaus in die kalte Winterluft. Ganz plötzlich reihten sich viele Fragezeichen vor ihr auf, die immer da waren, aber die sie bis dahin nicht hatte sehen wollen.

Sie war zwar verwirrt, aber sie war ihrem Sohn auch dankbar für die Fürsorge, die aus seinen Zeilen sprach.

Hilde brauchte eine Nacht, um sich von dem Mann zu verabschieden, der ihr eine Illusion geschenkt hatte. Sie schickte ihm noch eine kurze Mail zu Abschied.

Er gab nicht gleich auf, schicke noch einige Mails, versuchte sie wieder zu gewinnen mit dramatischen Geschichten. Aber Hilde antwortete nicht mehr.

Sie hatte drei Wochen Höhenflug erlebt, hatte sich wohlig in einer Illusion gebadet und wollte genau dieses Gefühl für sich behalten. Sie hatte erlebt, wie jung es sich anfühlt, verliebt zu sein und sie hatte erlebt, dass ihr Umfeld ihr dieses Glück gönnte. Er hatte sie mit seinen Worten betrogen, aber sie hatte sich auch bereitwillig betrügen lassen.

Wenn sie heute zurückdenkt, dann hat sie ein Lächeln auf den Lippen.

 

 In ihrem Buch „Eva und der Irische Seefahrer“ ist die Geschichte genau beschrieben mit den Originaltexten und der Vorgehensweise der Nigeria-Connection, die dem Land jedes Jahr Millionen einbringt.

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