top of page

Ein "richtiger" Kuss

  • gabrieleheyne
  • 9. Mai
  • 1 Min. Lesezeit
ree

Hilde sitzt in ihrem alten, bequemen Sessel am Fenster und schaut in den Abendhimmel.

Erinnerungen ziehen vorbei und eine dieser Erinnerungen lässt sie schmunzeln.

Sie war 16, er war 21 und hieß Wolfgang. Eigentlich war er viel zu alt für sie. Aber es schmeichelte ihr, von einem so „alten“ Mann umworben zu werden. Und deshalb, nicht weil sie verliebt war, traf sie sich mit ihm zu Spaziergängen. Mehr war nicht.

Aber dann machte er es ganz spannend. „Ich will dir etwas zeigen“, sagte er und schaute sie mit verheißungsvollem Blick an. Hilde war neugierig und folgte ihm, allerdings etwas zögerlich, in eine dunkle Häuserecke. Wolfgang nahm sie in den Arm und gab ihr einen sehr, sehr feuchten, nein einen nassen und für ihr Gefühl viel zu langen Kuss. Als er sie wieder los ließ, fragte er: „Na, wie war das? Jetzt weißt du, was ein „richtiger“ Kuss ist.“ Hilde rang nach Worten. Sie hatte den „richtigen“ Kuss fast als widerlich empfunden und beschloss, sofort keine „richtigen“ Küsse mehr zu wollen.

Im kümmerlichen Licht der Straßenlaterne gegenüber sah sie seine leuchtenden und erwartungsvollen Augen und so sprach sie nicht aus, was sie dachte, sondern versteckte sich hinter Verlegenheit und schüchterner Scham. Das funktionierte - für den Moment. 

Sie erinnert, dass es nicht einfach war, diese Freundschaft zu beenden. Er wohnte um die Ecke und war hartnäckig. Er tat ihr auch leid, weil er so traurig schauen konnte. Aber, nein, sie wollte keine „richtigen“ Küsse mehr, jedenfalls nicht von Wolfgang…

bottom of page